Zum 30-jährigen Geburtstag von SelfHTML hat Stefan Münz im Mai dieses Jahres einen Gastbeitrag mit dem Titel Das Internet weitererzählen geschrieben, der bei mir gleich mehrere Saiten ins Schwingen brachte.
Zunächst einmal beschreibt Stefan die Rolle der großen, zentralisierten digitalen Plattformen wie Instagram, Facebook und Co, und dann macht er ein einfaches Experiment: Neues Google-Konto anlegen und damit bei TikTok anmelden. Die ersten angebotenen Videos enthielten unter anderem folgende Aussagen:
- AFD zerlegt klimareligiösen Linksradikalen der behauptet Deutschland ist an allem schuld
- Ich bin trotz aller Warnungen nach Russland ausgewandert und das ist echt toll da jetzt, nicht mehr wie früher, als die Mafia regierte
- Ein Blick auf die Türklingeltafel eines großen Wohnhauses in Frankfurt, mit lauter Namen, so der Sprecher, die klingen wie Cevapcici
Die großen zentralen digitalen Plattformen haben also nicht mehr nur Kommerzialisierung und optimierte Monetarisierung im Sinn, sondern zumindest zum Teil auch ganz offen politische Ziele.
Nicht kommerzielle Alternativen, wie sie im Fediverse zu finden sind, sind momentan noch eine Nische für mehr oder weniger technik-affine Nerds.
Webstandards und ActivityPub
Aber das muss natürlich nicht so bleiben. Anfang des Jahrtausends gab es eine Zeit, in der Webstandards wie HTML und CSS einen schweren Stand hatten. Flash war am Horizont erschienen, und Webstandards galten als stinklangweilig.
Viele Designer und Entwickler schätzten die kreativen Möglichkeiten von Flash, und Warnungen, dass es eine proprietäre Sackgasse sei, wurden ignoriert oder nicht ernst genommen. Wir haben eine Maschine, die »Ping!« macht. Scheiß auf Standards.
Aber HTML und CSS haben sich ergänzt durch JavaScript auf breiter Front durchgesetzt und nach Flash kräht heute kein Hahn mehr. Selbst die Browserkriege scheinen weitgehend einer konsensorientierten Herangehensweise gewichen zu sein.
Stefan macht dann einen Vergleich mit ActivityPub. Es ist eine bewußte Entscheidung der Silos, dass man den Nutzer:innen von außerhalb der Plattformen nicht folgen kann. Das muss aber nicht so bleiben:
Und genauso, wie HTML und CSS im Verbund mit dem HTTP-Protokoll eine „Sphäre“ namens World Wide Web begründeten, bilden AcitivityPub und ActivityStreams eine soziale Sphäre, das Fediverse.
Stefan Münz in Das Internet weitererzählen
Das Fediverse ist eine tolle Entwicklung, aber momentan noch eine Nische und nicht sehr benutzerfreundlich. Was braucht es also, um Otto Normalbenutzer:innen ins Fediverse zu holen und sie dort zu halten?
Vereinfacht gesagt: Es muss alles weniger technisch werden, und das braucht eine Menge Enthusiasmus. Aber die Sache bewegt sich in die richtige Richtung.
Das 4-minütige Video Introducing the Fediverse: a New Era of Social Media von Elena Rossini zum Beispiel spricht auch nicht-technische Nutzer:innen an:
Fediverse und WordPress
Der Beitrag Your WordPress as Your Personal Mastodon Instance von Alex Kirk ist ein guter Anfang. Er zeigt, dass es technisch möglich ist, bestätigt aber auch gleich, dass die Sache für nicht-technische Nutzer:innen momentan noch viel zu umständlich und schwierig ist.
Bei mir haben die Aktivitäten von Leuten wie Stefan Münz, Matthias Pfefferle, Alex Kirk und Elena Rossini unter anderem bewirkt, dass ich mich intensiver damit beschäftigen möchte, wie man WordPress und das Fediverse zusammenbringen kann.
Der erste Schritt war die Umstellung dieser Website von GeneratePress auf das wirklich tolle Block-Theme Ollie.
Der nächste Schritt wird die (erneute) Aktivierung von ActivityPub sein, und dann geht es Schritt für Schritt weiter mit Plugins wie Friends und Enable Mastodon Apps dabei spielen.
Kann man WordPress wirklich mit Mastodon und dem Fediverse verschmelzen? Ich bin gespannt.
Das Beitragsbild ist ein Screenshot von jointhefediverse.net.
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